Joseph von Westphalen
Warum mir das Jahr 2000 am Arsch vorbei geht
oder
Das Zeitalter der Eidechse

Was passiert, wenn einem das Millennium-Trara zuwider ist, man ein sarkastischer Auftragsschreiber ist, den die Verlage drängen, eben zu diesem Thema ein publikumswirksames Buch - einen Aufsatz, Publikation, irgend etwas, sonst sind wir nicht mit dabei - zu schreiben? Und einen eigentlich nur Nadjas urtümliche Art, zu lieben, positiv denken läßt?

Meine Meinung
Man nimmt dem Autor den Ich-Erzähler ab, will sagen, so oder ähnlich mag er wirklich sein. Er ist übrigens brilliant, ein scharfer Beobachter mit spitzer Zunge. Böse manchmal, bitterböse, gallig. Und so wie bei Ustinov (siehe dort), wo mir manchmal die Pointen zu dicht hintereinander kommen, geht es mir bei von Westphalen nicht. Die Spitzen sind gut, sie treffen; und hier können sie dicht hintereinander kommen, hier stört es mich nicht, sondern ich freue mich über die Formulierungen.
Zwischendurch kreuzt immer die dunkelhäutige Nadja im Leben des Ich-Erzählers auf, die so in krassem Gegensatz zu seinen drei Ex-Frauen steht. Sie ist so sehr anders als er, spontan, mehr körperbetont und animalisch. Wenn sie auftaucht, werden bei ihm neue Saiten angeschlagen, und er erzählt auch ganz anders, das kopfbetonte wird über Bord geworfen und er wird etwas deftiger.

Was ich einigermaßen befremdlich finde, ist allerdings sein scheinbar sehr negatives Bild von der Welt.
(Wo bleibt das Positive, Herr Kästner? Stop! Der hatte ein positives Weltbild. Auf Kästner lass' ich auch nix kommen.)

Das Buch ist brilliant geschrieben; es gibt mehrere interessante und nicht vorhersehbare Wendungen. Unbedingt lesen, und zwar nicht nur wegen des Titels, der (eigentlich ein Anachronismus - oder ist es Zynismus?) von Eichborn publikumswirksam übers Internet angepriesen wird...


Es gab bei Eichborn zum Thema Y2K eine Gewinnspiel-Umfrage, warum den Usern das Jahr 2000 wohl am Arsch vorbeiginge; die Ergebnisse konnten eingesehen werden. Vom allgemeinen Blabla über das beliebte Spiel "Ist doch erst nächstes Jahr" bis zu philosophischen Statements ist alles vertreten.
Die folgenden drei haben mir am besten gefallen...

Mir geht der Jahrtausendwechsel am Arsch vorbei, weil...
... es nun wirklich keinen Grund zu feiern gibt, wenn gleich drei Nullen aufeinander treffen!
... wenn man nur lange genug lebt, auch ein Jahrtausendwechsel nichts besonderes mehr ist. (richtig, Methusalix!)
... ich vom vergangenen Jahrtausend zu wenig erlebt habe, als dass es mir fehlen könnte und das neue erst mal zeigen soll, was es so drauf hat, wieso also feiern?

In diesem Sinne...

Erschienen bei Eichborn
ISBN 3-8218-3490-0

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Rezensiert 31.08.2000
© Claudia Heldt. Zuletzt aktualisiert: 12.06.2009