Barry Unsworth
Die Masken der Wahrheit

Zum Inhalt
Der junge Nicholas ist Subdiakon und damit eigentlich für eine Laufbahn innerhalb der Kirche vorgesehen. Im Frühling spürte er jedoch auch gewisse Triebe und beging die ein oder andere Sünde, derentwegen er den Rückweg verbaut sieht. Er entfernte sich aus seiner Diözese.
Alleine und frierend stößt er im Winter in dem Moment auf einen Trupp Schauspieler, als einer der ihren stirbt. Obwohl sie zunächst misstrauisch sind, darf er sich ihnen anschließen und übernimmt die Rolle des Verstorbenen, der gleichwohl mitgeschleppt werden muss, damit ihm ein kirchliches Begräbnis zuteil wird.
In der nächsten Stadt soll der Tote endlich begraben werden; da aber die Kosten die Theaterkasse arg strapazieren, wird ein Stück aufgeführt – mit mäßigem Erfolg.
In dieser Stadt ist jedoch eben erst ein Kind erwürgt worden und eine stumme Frau wird dafür verantwortlich gemacht. Martin, der Spielleiter, hat eine geradezu revolutionäre Idee: Vielleicht kommen mehr Leute, um die Schauspieler zu sehen, wenn sie ein Stück über diesen Kriminalfall spielen. Keiner von ihnen ahnt, in was für einen Ameisenhaufen sie damit stechen...

Meine Meinung
Wenn auch anfangs aufgrund der einem mittelalterlichen Scholaren nachempfundenen Sprachweise etwas sperrig zu lesen, zieht das Buch schnell in seinen Bann. Es entsteht ein sehr plastisches Bild des mittelalterlichen Lebens. Hunger, Krankheit, Tod und Willkür waren ständige Begleiter, auch wenn man nicht reiste. Bei dieser Schilderung hilft die gewählte Sprache wiederum, die zeitliche Distanz zu unserer Zeit zu sehen und zu überbrücken. Uns sind viele Dinge heute selbstverständlich, die damals einfach nicht galten (ganz abgesehen davon, dass es einiges natürlich damals nicht gab) – und umgekehrt.
Faszinierend auch der Einblick in die Art der Schauspielerei, die sich von der unserigen heutzutage ziemlich unterscheidet. Gesten, Masken und personifizierte Moralbegriffe („die Wahrheit“, „der Hochmut“) wurden in Stücken verwendet, die vornehmlich biblische Themen zum Inhalt hatten („Das Stück von Adam“); Themen aus dem aktuellen Leben, wohlmöglich mit fiktiven Inhalten, waren fast undenkbar, auf jeden Fall aber skandalös und beinahe blasphemisch. Die Schilderung der Abläufe der Schauspiele erinnert viel mehr an fernöstliches Theater, wo die Kunst des Schauspielers in der exakten Wiedergabe bestimmter Gesten und Bewegungen liegt und weniger in der dem Schauspieler eigenen Körpersprache oder Mimik.
Ein etwas anderer, packender Krimi, der im Mittelalter spielt.

Das Buch war auch Vorlage zum Film „The Reckoning“ mit Daniel Defoe und Paul Bettany.
Nachdem mir das Buch so gut gefiel, hatte ich dann so meine Probleme mit den Plotänderungen, denn der Film läuft ab einem gewissen Zeitpunkt einfach in eine etwas andere Richtung. Da wurde wohl mehr Wert auf Dramatik gelegt (was ich dem Regisseur einigermaßen übel nehme). Ich verstehe auf der einen Seite den Reiz, es filmisch so darzustellen, aber die Denke ist da wesentlich moderner als im Buch, das alles aus der Perspektive des abtrünnigen Scholaren Nicholas erzählt. Der lernt aus der Geschichte für sich selbst, während im Film eine Gesellschaftskritik zum Tragen kommt, die es damals sicherlich in der Form nicht häufig gab.
Unabhängig vom Buch betrachtet trotzdem ein interessanter Film.

Erschienen im Gustav Lübbe Verlag 1997
TB, 304 Seiten
ISBN 3-7857-0872-6

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Rezensiert 21.05.2009
© Claudia Heldt. Zuletzt aktualisiert: 12.06.2009