Rainer Horbelt / Sonja Spindler
Tante Linas Kriegs-Kochbuch
Beileibe kein Kochbuch. Ich möchte das nicht essen müssen. Aber ein lebendiges
Geschichtsbuch, ein Zeitdokument, das auf unterhaltsame Weise den Alltag dieser Kriegsjahre
näherbringt.
Diese Formulierung klingt sarkastisch? Soll heißen: Es sind in genialer Weise
Zeitungsausschnitte, Rezepte und Anekdoten über Tante Lina (die längst nicht so altbacken
war, wie sich ihr Name anhört) verbunden, daß es eine Lust ist, das Buch von vorne bis
hinten zu lesen. Tante Lina hat gut vorbereitet; die Autoren haben gut recherchiert. Und
sie haben das Kunststück fertig gekriegt (kein Sarkasmus!), einen Einblick zu geben, ein
Zeitfenster aufzustoßen, um zu zeigen, wie in etwa die Zeiten waren, jedenfalls für Lina
Normalverbraucher.
Tante Lina war vorausschauend und hatte offensichtlich eine Menge Improvisationstalent. Das brauchte sie auch. In diesem Buch wird beschrieben, wie die Bevölkerung in jenem wahnsinnigen Krieg mit immer weniger Nahrung auskommen mußte und wie sich die Menschen behalfen. Wie sie noch die zynische Propaganda ertragen mußten, die behauptete, es würde an nichts mangeln, und Kriege würden "am Kochtopf gewonnen".
Durch kunstvolles Verflechten von Zeitungsausschnitten (Kochrezepte, Propagieren von ansonsten gemiedenem Gemüse, Berichte über ach-so-volle-Lebensmittellager), Anekdoten (die ja auch nicht alle immer ein gutes Ende haben) und Kochrezepten (die in schlechten Zeiten auch vielleicht kochbar sind - aber auch essbar?) ist es den Autoren gelungen, ein Zeitbild zu schaffen. Ein Geschichtsbuch, das uns den Alltag näher bringt, das uns nicht Zahlen um die Ohren schlägt, sondern die Probleme nachfühlen läßt. Dabei sind sich die Autoren jederzeit bewußt, daß dieser Versuch eine Gratwanderung ist. Sie wollten die Rezepte, eine realistische Schilderung, Anekdoten und Dokumente unter einen Hut bringen. Und sie haben ihre Sache sehr gut gemacht!
Dieses Buch ist meiner Meinung nach auch für ein lebendigeres Bild der Zeit im Geschichtsunterricht sehr geeignet.
Erschienen im Bechtermünz Verlag,
ISBN 3-8289-1039-4
Rezensiert 17.08.2000
© Claudia Heldt.
Zuletzt aktualisiert: 19.09.2008